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Germanen besetzen römisches Kriegsschiff
»So, jetzt rudern. Schlag – Schlag – Schlag!« Ungewohnte Kommandos sind es, die 24 Germaninnen und Germanen da zu hören bekommen. Aber es ist auch ein ungewöhnliches Boot, in dem sie da sitzen: Der Archäologische Park Xanten hat ein Schmuckstück aus seiner Ausstellung, das 18 Meter lange römische Patrouillenboot »Quintus Tricensimanus« von seinem aufgebockten Platz in der Bootshalle geholt und mit Autokran und Tieflader auf den Xantener Südsee verfrachtet. Der Mann, der hier die Kommandos gibt, ist Kees Sars – der niederländische Bootsbauer, der das Boot als originalgetreue Rekonstruktion nach Funden aus Mainz gebaut hat. Das Boot hat sogar Mast und Hilfssegel, aber das bleibt heute an Land.
»Alles voraus – los!«. Inzwischen ist das Boot aus dem Hafen herausgerudert und Günter Schroers übernimmt das Kommando. Die Ausfahrt dient der mitfahrenden Archäologin Frau Dr. Alice Willmitzer dazu, die Möglichkeiten kennenzulernen, die man mit diesen Booten auf dem Rhein im dritten Jahrhundert nach Christus hatten. Die Präsenz auf dem Rhein sicherte die Grenze des römischen Reiches. Wobei es, wie sie klarstellt, durchaus auch Angehörige germanischer Stämme waren, die als Berufssoldaten solche Boote bewegten. Die Colonia Ulpia Traiana auf dem Gebiet der heutigen Stadt Xanten war eine wichtige Siedlung an dieser Grenze, zu Spitzenzeiten soll sie 10.000 Einwohner gehabt haben. Das wissen die Ruderinnen und Ruderer natürlich schon, denn vor den praktischen Teil im Boot hat Organisator Sebastian Veelken den Besuch im benachbarten Archäologischen Park Xanten gestellt. Das weitläufige Areal der Siedlung verfiel nach dem Ende des Römischen Reiches und wurde auch später kaum überbaut. So hat es heute praktisch dieselbe flächenmäßige Ausdehnung wie zu seiner Blütezeit, die rekonstruierten Gebäude stehen an ihren originalen Standplätzen. Das bietet eigentlich schon Stoff genug für einen Tagesausflug. Im Schnelldurchlauf ging es in die prunkvolle Arena, wo Thomas Henke Funktion und Vorgehensweisen spontan erläuterte und zugleich die hervorragende Akustik der Arena demonstrieren konnte.
»Nicht drehen! Was machst du da?« Günter Schroers schreitet ein: Die Riemen an den 24 Ruderplätzen der Lusorie sind mit Seilen an den Dollenpflöcken befestigt. Das lässt ein Auf- und Abdrehen, wie es im modernen Rudersport üblich ist, nicht zu. Wer doch zu drehen versucht, löst die Riemen aus der Befestigung und bekommt Probleme. Mit dem Material und mit Günter Schroers. Die Befestigung bietet aber auch Anlass zu Nachfragen an den Bootsbauer: Sind die Riemen nicht an der falschen Seite (bugseits) angebracht und würden sie nicht eigentlich auf die Heckseite gehören? Nein, sagen Kees Sars und Alice Willmitzer: Die Dollenpflöcke sind exakt so nachgebaut worden, wie es sich aus den Funden ergibt. An dieser Stelle reibt Holz auf Holz, was dem hochwertigen Material ersichtlich nicht gut tut. Aber Herr Sars führt aus: An keiner Stelle der Dollen gab es Nagelspuren, die darauf hindeuten würden, dass dort zum Beispiel Leder befestigt gewesen sein könnte. »Aber vielleicht waren die Riemen mit Leder umwickelt.« räumt er ein, »das werden wir für die Zukunft sehen.«
»Boah, hast du den Ruck bemerkt, wenn die alle ziehen?« wundern sich die beiden Begleiter vom Archäologischen Park, die als Kielschweine im Bug mitfahren dürfen. Langsam kommt das vier Tonnen schwere Boot auf Touren. Die Begleiter haben schon einige Fahrten mit Besuchern absolviert, aber die waren allesamt eher im Tausendfüßler-Schlag unterwegs. Die Germanen bemühen sich nach Kräften, über die Länge von zwölf Riemen einen einheitlichen und gleichmäßigen Schlag zu fahren. Das ist nicht so einfach wie es klingt, denn das Boot ist lang und die Menschen waren früher kleiner als heute. So sind die Ruderbänke dicht beieinander und natürlich gibt es keine Rollsitze. In der Auslage touchiert daher heute so mancher Riemen den Rücken des Vordermannes.
Am Steuer steht Kees Sars und lächelt. Er freut sich sichtlich darüber, sein Boot in voller Fahrt auf dem Wasser zu präsentieren, denn eigentlich ist es nur für die Ausstellung im Museum gebaut. Unterwegs erläutert er, dass die Anforderungen an das Holz völlig unterschiedlich sind, wenn es um eine dauerhafte Präsentation im Trockenen geht oder darum, das Boot zu Wasser zu lassen und richtig zu rudern. Der Wechsel des Anwendungsbereiches ist eine Herausforderung für das Boot und den Bootsbauer. So wurde es schon Wochen vorher vorbereitet und kontrolliert befeuchtet in der eigens dafür abgeriegelten Bootshalle und auch die Nachbereitung der Ausflüge wird noch viel Arbeit erfordern. Jetzt aber fährt es auf dem Wasser und Kees Sars hält die beiden Steuerbalken fest in der Hand. Die Römer kannten das Mittelsteuer noch nicht, wie es heute üblich ist. Stattdessen hatten ihre Schiffe backbord und steuerbord je ein großes Steuerblatt, die gegeneinander verdreht werden konnten, um schärfere Manöver auszuführen.
»Das habt ihr toll gemacht! Ihr seid Ruderer und bestimmt anderes Material gewöhnt, aber niemand hat gemeckert, dass es zu schwer ginge oder so.«, freut sich Kees Sars. Langsam legt das Boot wieder an der Kaimauer an und die Germaninnen und Germanen bedanken sich mit kräftigem Applaus bei Frau Dr. Willmitzer und Kees Sars für das einmalige Erlebnis in diesem ganz besonderen Boot.
Als Organisator der Fahrt wurde der Autor oft gefragt, woher die Idee für diese Veranstaltung kam: »Es war ein Geistesblitz beim privaten Besuch der Bootswerft. Ich habe mich gefragt, wie der APX die angekündigten Ausfahrten mit der Lusorie wohl realitätsgetreu nachstellen möchte, wo es doch in Xanten keinen Ruderverein gibt. Wir Ruderer wissen, dass es einen riesigen Unterschied macht, ob eine Zufallsmannschaft von Anfängern im Boot sitzt oder ein kommandosicheres trainiertes Team. Die Mitarbeiter des APX, allen voran Frau Dr. Willmitzer waren von der Idee sofort begeistert und haben es innerhalb weniger Tage möglich gemacht, dass wir als Ruderclub Germania bei den schon geplanten Ausfahrten einen Sonderplatz eingeräumt bekamen.«
Zweieinhalb Stunden auf dem Wasser, 7 Kilometer gerudert, 9,8 km/h inoffiziell gemessene Höchstgeschwindigkeit und später ein kräftiger Muskelkater vom Ausheben der Riemen. Die Kriterien einer Tageswanderfahrt haben wir damit nicht geschafft, aber doch waren sich alle einig, dass es ein einmaliges Erlebnis war. Wer weiß, vielleicht baut der APX demnächst eine Galeere nach – der Autor wird dranbleiben!