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Wanderrudern in Lettland: Unterwegs auf dem „Großen Fluss“

Wenn man kein Lette ist, hat man vom Fluss Lielupe vermutlich noch nie gehört. So ging es mir jedenfalls, als ich Anfang dieses Jahres das Angebot zu einer Flusswanderfahrt in Lettland bekam. Es war auch weniger der Drang zu rudersportlichen Herausforderungen als die Neugier auf das mir unbekannte Lettland, die mich Mitte August nach Riga und von dort ins Landesinnere führte. Dort, im Städtchen Jelgava, hatten wir, das war eine bunt gemischte Truppe von Wanderruderer aus Hamburg, Berlin, Göttingen, Köln, Wien und Düsseldorf (neben mir eine Teilnehmerin von der Rudergesellschaft Benrath), Quartier für die ersten Etappen bezogen. 

Doch bevor es aufs Wasser ging, stand erst noch Kultur auf dem Programm: Der Besuch des prachtvollen, erst kürzlich renovierten Barockschlosses Rundale, das als Versailles des Baltikums gilt und einst den kurländischen Herzögen als Sommerresidenz diente. Beim Bau des 138-Zimmer-Schlosses hatte die russische Zarin Anna finanziell geholfen, Kurland war damals eine russische Provinz und der Herzog ihr Günstling. So wurden wir mit der wechselhaften Geschichte Lettlands konfrontiert, das häufig von fremden Mächten regiert worden war. Nicht nur vom zaristischen Russland, zuvor schon von den deutschen Ordensrittern, den Schweden und Polen. 1918 wurde das Land unabhängig, um dann im Zweiten Weltkrieg von der Sowjetunion und Nazideutschland erneut besetzt zu werden. Erst 1990, mit dem Niedergang der Sowjetunion, errangen die Letten ihre Freiheit. 

Noch voll von diesen Eindrücken fuhren wir zur nahegelegenen Lielupe, die in kurländischer Zeit Aue hieß und auf Lettisch „großer Fluss“ bedeutet. Wir bauten die fünf Gigvierer auf, mit denen wir in den nächsten fünf Tagen 145 Kilometer zurücklegen sollten. Anfangs mochte man die Lielupe kaum einen Fluss nennen, so schmal ist sie da. Träge fließt sie in vielen Windungen durch das ebene Land, keine Schleusen halten den Ruderer auf, aber auch kaum Strömung beschleunigt seine Fahrt. Vorbei ging es an Wiesen und Wäldern, vereinzelten Gehöften und Dörfern, vom Ufer beobachteten uns Wildpferde, Störche stapften durch die sumpfigen Uferwiesen. 

Ab Jelgawa wird die Lielupe dann breiter. Gelegentlich begegneten wir nun Paddlern oder Motorbootfahrern, aber für die Binnenschifffahrt spielt sie zum Glück keine Rolle. Mittags legten wir am Ufer an, um uns bei einem Picknick zu stärken und zu baden. Wenn die Lielupe dann bis auf wenige Kilometer an die Ostsee herangekommen ist, schlägt sie auf einmal einen scharfen Bogen nach Osten und fließt eine Zeit lang parallel zur Ostsee, bevor sie schließlich in diese mündet. 

Auf dieser von Ostsee und Lielupe begrenzten Halbinsel liegt der Badeort Jurmala mit seinem kilometerlangen Badestrand aus feinstem weißem Sand. Mit seinen vielen Holzhäusern ist das waldreiche Jurmala das traditionelle Erholungsgebiet der Rigaer Stadtbevölkerung und ein Zentrum des lettischen Rudersports. Hier schlugen wir unser zweites Quartier auf, denn noch war unsere Fahrt nicht zu Ende. Nach einem Abstecher zur Ostseemündung, wo man auch schon mal das Boot im flachen Wasser schieben musste, ging es zurück zu einem Seitenarm, auf dem wir zur Daugava rudern konnten, dem größten Fluss des Landes. Auf dieser Höhe ist die Daugava schon breiter als der Rhein bei Düsseldorf. Das Wasser wurde nun unruhig und wellig, wir passierten den Rigaer Hafen, vorbei an riesigen Seeschiffen, Fähren und Werften. Durch einen Hafenkanal erreichten wir den Kisezers (Stintsee) und hatten damit das Ziel unserer Wanderfahrt erreicht. Und da das Wetter in diesem Heißsommer ja eine wichtige Rolle spielte: Zum Rudern hatten wir bestes – nur am ersten Tag etwas Nieselregen, ansonsten Sonnenschein, aber nie zu heiß. Den Wolkenbruch gab’s dann am letzten Tag, aber da waren wir gerade an Land gegangen und konnten uns unterstellen.     

Organisiert wurde die Fahrt von Hans-Heinrich Busse uns seiner Frau Vida von der RG Hansa Hamburg, beide exzellente Landeskenner und Ruderer, die Rudertouren im Baltikum und anderen europäischen Regionen schon seit vielen Jahren anbieten.

Klaus Methfessel


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